Beitrag vom 11.11.2020 auf betchner.com von patrick


Rügenwalder Mühle
Vegetarischer Schinken Spicker
Mortadella Klassisch
Erfahrungsbericht
Mit dem Produkt »Vegetarischer Schinkenspicker Mortadella« hat sich Rügenwalder in der Welt der Fleischlosen ein Standbein verschafft. Doch wie schmeckt dieser vermeintliche Ersatz für eine klassische Fleischwurst? Ich nehme vorweg: Mich begleitet das Wurst-Imitat fast vom ersten Tag an und auch mein Sohn hat gefallen daran gefunden - und gerade kleine Kinder sind besonders harte Kritiker. Meiner Frau schmeckt das Produkt überhaupt nicht - sie ist seit den späten 90ern Vegetarierin.
Vorwort
Es ist schon ein paar Tage her, seitdem sich endlich ein namhafter Hersteller von Fleischprodukten an eine vegetarische Variante versucht hat.
Daher ist die anfängliche Freude über dieses Produkt ebenfalls in meiner Erinnerung stark verblasst.

Dennoch gehört der vegetarische Schinkenspicker von der Rügenwalder Mühle noch immer zu meinen Favoriten, was Brotbeläge angeht.

Dieses Wurstimitat ist eines der wenigen Produkte, das mein Verlangen nach Fleischwurst vollends stillt.
Oder salopp ausgedrückt: Es befriedigt meine Sucht nach Fleischwurst.
Der erste Eindruck
Im Vergleich zu anderen Produkten der klassischen Serien dominiert hier, wie auch bei den anderen Produkten, die Farbe grün.
Somit suggeriert schon die Verpackung eine Wohltat für das Gewissen, wenn man zugreift. Doch wie sieht es hinter dem schicken Deckblatt aus?

Der Blick auf die mit relativ viel Text und Labeln überfrachtete Verpackung lässt zumindest mich als Laien schon einmal aufatmen.

Vegetarisch, Eier aus Freilandhaltung, ohne Geschmacksverstärker, zuckerarm, laktosefrei, 100% Ökostrom, Getestet vom Fresenius-Institut.

Da kann man ja nichts falsch machen. Der vegetarische Schinkenspicker ist das gute Gewissen in Scheiben.

Ein Manko ist allerdings die geringe Menge von gerade einmal sieben Scheiben pro Verpackung. Besonders in Zeiten, in denen sich immer mehr
Verbraucher von Plastikverpackungen abwenden, ist eine Verpackung, deren Inhalt nicht einmal die 100-Gramm-Marke überschreitet
schon fast eine Zumutung. Zwei hungrige Personen vertilgen eine Packung in einem Frühstücksgang.
Da macht es die Konkurrenz schon etwas besser. Gutfried z.B. verkauft annähernd täuschend echtes Fleischwurstimitat am Stück.

Ein weiteres Manko ist der Preis. Manch einer plaudert aus dem Nähkästchen, was die Kosten anbelangt. So macht die Firma Windau keinen Hehl daraus, dass die Entwicklungs- und Produktionskosten von (im Bericht genannter) z.B. vegetarischer Salami nur einen Bruchteil der Kosten ausmacht, die ein vergleichbares Fleischprodukt kostet.
Und dennoch schlägt der vegetarische Schinkenspicker (Stand 10/19) mit 1,29 - 1,39 Euro zu Buche, während der klassische Schinkenspicker knapp die Euro-Marke schrammt. Und das in Zeiten, in denen ein Umdenken gefordert wird, dass Fleisch nicht zum Schleuderpreis verfügbar sein darf.
Das lässt meiner Meinung nach tief in die wahren Beweggründe hinter Rügenwalders Heile-Welt-Fassade blicken.
Aber hier soll es nun in erster Linie um das Produkt, den Geschmack gehen. Und darum, ob es mir hilft, meinen Fleischkonsum zu reduzieren.

Mein erster Eindruck ist, dass hier viel richtig gemacht wird und ich als Gelegenheits-Vegetarier sofort angesprochen und mitgenommen werde.

Ist die Verpackung erst einmal geöffnet, strömt einem ein sehr würziger Geruch in die Nase. Nicht-Vegetarier würden Duft sage, Vegetarier eher Gestank. Denn das Aroma ist schon einmal sehr nah an der Vorlage. Auch optisch ist die Ähnlichkeit verblüffend. Doch dazu später mehr.

Die Haptik überrascht dann nochmal. Jeder Teilzeit-Vegetarier, der an dieser Stelle noch nicht überzeugt ist, sollte einmal den Fühltest machen.
Sowohl der von Mortadella bekannte fettige Film als auch das an den Fingern haften bleibende Gewürz sorgten bei mir für einen Aha-Effekt.
Meine Frau hingegen (zur Erinnerung Langzeit-Vegetarierin) hatte eher einen Igitt-Effekt.
Erstaunt hat mich ebenfalls die Konsistenz, die fast detailgetreu getroffen wurde - zumindest, wenn man gerade keine Mortadella zur Hand hat.

Somit kann ich sagen, dass der erste Eindruck recht solide ist. Und dennoch gibt es auch den einen oder anderen Wermutstropfen:
Neben dem guten ersten Gefühl erinnert mich die Verpackung zu sehr an die TV-Dauerwerbesendungen, in denen immer alles »fantastisch« ist.
Das löst bei mir unweigerlich auch einen faden Beigeschmack aus, den ich erst einmal nicht begründen kann.
Was steckt drin
Zunächst fällt mir speziell bei diesem Produkt auf, dass sich die Zutaten im Laufe der Jahre geändert haben.
Zwischen dem ersten Foto der Zutaten in 2017 und der aktuellen Zutaten sind zumindest die Anteile einzelner Bestandteile verändert worden.
Vermutlich ist dies auf den stetigen Verbesserungsprozess und Kostenoptimierungsprozess zurückzuführen.
Solange es die Qualität des Produktes nicht negativ beeinflusst ein aus meiner Sicht legitimer Prozess.

Entgegen vieler Fleischimitate liegt dem vegetarischen Schinkenspicker Hühnerei als Basis zugrunde. Spezieller Eiklar.
Noch spezieller Eiklar von Eiern von Hühnern aus der Freilandhaltung.
Somit besteht der vegetarische Schinkenspicker zu zwei Dritteln aus Eiweiß.
Stellt sich einem die Frage, wo geht das Eigelb hin? Dies soll jedoch hier an der Stelle erst einmal nicht weiter verfolgt werden.

Die gewünschte Konsistenz des Wurstimitates wird neben dem Eiklar durch eine Reihe von Verdickungsmitteln erzielt.
Um die Farbe einer Fleischwurst zu bekommen, werden ausschließlich natürliche Farbstoffe eingesetzt.
Hier muss ich Eigenkritik ansetzen, denn neben dem Farbstoff Carotin (Karotten) werden auch Anthocyane eingesetzt.
Mein erster Gedanke war: Antho..was? Ach du meine Güte, schon wieder so etwas Chemisches.
Ein klarer Fehler meinerseits, verleitet durch meine Assoziation mit Zyankali (Kaliumcyanid) oder dem gelben Toner meins Laserdruckers.

Dabei ist Anthocyane ist ein Überbegriff für alle natürlichen wasserlöslichen Pflanzenfarbstoffe.

Meinem Verständnis nach können entsprechende Anthocyane alternativ mit E163 gekennzeichnet werden,
falls es sich um isolierten Anthocyane, also Anthocyane aus der Frucht selbst handelt.
Die Verwendung einer E-Nummer macht es allerdings nicht transparenter und ist zumindest bei inzwischen schon fast verpöhnt.
Anthocyane aus der Schale müssten als färbende Lebensmittel aufgeführt werden.
Wie dem auch sei sind, so Stand 2019, Anthocyane als unbedenklich und sogar mitunter gesundheitsförderlich eingestuft.

Weiterer Kritikpunkt sind die Verwendung der Bezeichnung Gewürze und natürliche Aromen.
Im Fall einer bekannten Chips-Firma sagt der Begriff Gewürz kaum etwas über die Inhaltsstoffe aus. So sind die Paprikachips dieser
Marke nicht für Vegetarier geeignet, da ein Bestandteil des Gewürzes Wild ist.
Da der Geruch stark an die klassische Mortadella erinnert, werden vermutlich ähnliche Gewürzmischungen verwendet werden (z.B. von Hela).
Die Zutaten (Stand: 11.11.2019)

Eiklar (69%, aus Freilandhaltung), Rapsöl (14%), Trinkwasser, Kochsalz,Gewürze, Verdickungsmittel: Johannisbrotkernmehl, Xanthan, Carageen; Säureregulatoren: Kaliumlactat, Natriumacetate; natürliches Aroma, Traubenzucker, Farbstoffe: Carotin, Anthocyane.
Kann Spuren von Gluten und Soja enthalten.
Die Stunde der Wahrheit
Ohne einen direkten Vergleich zu einer normalen Fleischwurst würde ich auf den ersten Blick nicht erkennen, dass es sich um vegetarisches Imitat handelt. Der zweite Blick hingegen verrät es schon - wenn man genau hinsieht.


Wie auf dem Vergleichsbild zu erkennen ist die vegetarische Variante des Schinkenspickers zu perfekt gelungen.
Während bei der klassischen Mortadelle hier und dort und einzelne Bestandteile sichtlich unterschiedlich stark zerkleinert wurden hat die fleischlose Variante eine sehr homogene Struktur. Keine Stücke, keine Aspikreste und vor allem keine Farbunterschiede.
Auch der Geruch offenbart den deutlichen Unterschied zwischen pflanzlichem und tierischem Fett.

Zwar bricht die vegetarische Mortadella nicht, wenn man sie rollt oder knickt, dennoch ist sie einen Hauch steifer als ihr fleischliches Pendant. Die Mortadella vom Schwein ist alles in allem labbriger als die vom Hühernei.

Farblich strahlt die klassiche Fleischwurst in einem starken rosa-pink. Daneben wirkt der vegetarische Schinkenspicker sehr blass.

Jedoch für sich betrachtet ist und bleibt der vegetarische Schinkenspicker eine fast perfekte Nachbildung.

Geschmacklich ist die vegetarische Mortadella etwas zu intensiv. Allerdings für meinen Geschmack noch im grünen Bereich.
Während bei der Fleischvariante der Eigengeschmack des Fleisches durch die Gewürze verfeinert wird, muss bei der vegetarischen Variante der gesamte Geschmack zwangsläufig aus den Gewürzen gewonnen werden. Hier merkt man einen gewissen Unterschied zwischen den beiden Varianten, jedoch der vegetarische Schinkenspicker für sich genommen geht locker als Fleischwurst durch.

Auch das Bissgefühl ist leicht verschieden. Bei der fleischigen Mortadella merkt man den Fettanteil beim Kauen sehr deutlich.
Trotz fein zerkleinerter Masse hat man einen gewissen Bisswiderstand. Dieser entfällt bei der vegetarischen Mortadella.
Zwar hat man auch hier ein angenehmes Gefühl zwischen den Zähnen, durch die Homogenität jedoch ein sehr viel weicheres.
Fazit
Lassen wir Ökobilanz, Preis und Verpackungsoverhead mal außen vor, so hat Rügenwalder hier ein Produkt geschaffen, welches kaum
Wünsche übrig lässt. Da es selten vorkommt, dass vegetarischer und nicht-vegetarischer Schinkenspicker gemischt werden, fällt der Unterschied
kaum auf.

Die Tatsache, dass sich meine Frau vor dem vegetarischen Schinkenspicker ekelt und er meinem kleinen Sohn ohne wenn und aber als Fleischwurst untergejubelt werden kann, zeigt, wie überzeugend das Produkt rüberkommt.

Wenn jetzt noch an den Kritikpunkten gearbeitet wird, z.B. indem größere Verpackungen oder Schinkenspicker am Stück angeboten werden und der Preis zumindest unter den Preis des fleischhaltigen Schinkenspickers sinkt, gibt es aus Verbrauchersicht kaum etwas zu bemängeln.

Eine Zusammenfassung und Bewertung zum vegetarischen Schinkenspicker gibt es hier: [Bewertung und Zusammenfassung auf der Produktseite]
Gallerie




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